Entnommen: "Riesengebirgs-Heimatbuch mit Kalender" für das Jahr 1951 aus dem Verlag "Rübezahls Heimat"

Die Ahnen Rübezahls

von Paul Kutzer

Wenn ich den Namen "Riebezahl" höre, so lacht mir allemal mein altes Schlesierherz. Es umweht mich ein unvergleichliches Stück Heimatzauber. Erinnerungen werden in der Seele wach, an verklungene Tage, lenzgrüner Jugend, als meinem aufhorchenden Knabenherzen der erste Märchenlaut entgegenklang. Stunden werden im Geiste lebendig, die ich als Sommerfrischler in Riebezahls ureigenern Reviere verlebte. Da war es mir oft, als hörte ich hinter einem verschwiegenen Felsspalt des neckenden Berggeistes heimlich-schadenfrohes Panslachen

Es liegt eine tiefe Tragik in der Geschichte unseres Helden, den die Schlesier so ganz zu ihrem "Eigen" gestempelt haben, mag ihn auch noch so buntfarbiger Schimmer und geborgter Aufputz aus dem Sagenschatze und von dem Hüllkleide mythologischer Gestalten von ganz Deutschland zieren. Die kritisch-forschende Sichtung erkennt zwar immer mehr, wie wenig Urtümliches in den über ihn kursierenden Erzählungen vorhanden ist. Und es ist auch nicht leicht, bis zu dem Urgrund dichtender Volksphantasie zu steigen. Denn die Quellen aus ferner Vergangenheit schweigen. Und wie der Blauschimmer seiner gigantischen Bergwelt umschwebt ihn die Gloriole eines gestürzten Herrschers und Kronenhauptes. Aber das eine mag nur über ihn gesagt sein. Er ist ein Verwandlungskünstler! Oder vielmehr- die fabulierende Menge, das unbeholfene Dichterstammeln einer verflossenen Kulturperiode hat ihn zum proteusartigen Allerweltskerl gestaltet, zum Kosmopoliten und Mischprodukt, zum Sammelbecken und Hexentopf, aller möglichen Märchen, wie sie damals ganz Deutschland durchquerten, besonders, im Mittelalter, im 16. Jahrhundert, der Blütezeit der Münchausiaden und Schwankliteratur, als auch Dr. Faust, Till Eulenspiegel und der Rattenfänger von Hameln ihre Triumphe feierten.

Riebezahl war einmal nichts anderes, als der oberste, gewaltige germanische Gottkönig und Himmelsvater Wodan, der Wütende, der im Sturmwind mächtig dahinbraust. Da war er der Nachtjäger. Das war in der Heidenzeit, als man ihn noch kurz "Riebe", den "Rauhen", nannte. Aber die christlichen Priester konnten ihn nicht leiden. Noch hielt er in den Herzen der Neubekehrten feste Ruhstatt. Sie wollten von ihrer alten Lieblingsgestalt nicht lassen. Da degradierten ihn die Geistlichen nicht nur zum Dämonen, sondern machten ihn auch beim gläubigen Volke verächtlich und hingen ihm einen lächerlichen Schwanz an, einen "Zal". So war der "Riebe – zal" fertig. Aber erst der Folgezeit war es voll und ganz vorbehalten, unter der Hand des fabulierenden, lustig-sagenverschmelzenden Schlesiervolkes die uralte mythologische Gestalt, den germanischen Windgott und Sturmdämon, wieder zu frischem, neuem Leben zu erwecken und mit dem farbfrohen Sagenkranz buntschillernder Romantik zu umgeben, mit konglomeratartig sich ansetzenden Erzählungen von niederen Geistwesen ... Er blieb nicht nur der Kollege von Knecht Ruprecht!! ... Der einäugige Wolkenwanderer mit Schlapphut! ...

So ist denn Riebezahl der Sage nach nicht nur ein Wodansreflex. Er erscheint auch als ein "starker Mann", ein handfester Trinker, der auf einmal eine Butte Bier leert, wie ähnliche Züge vorn Donar berichtet werden und in der Volkserinnerung wurzelten ...

Vielleicht – und anscheinend – war seine Mittellinie die des schalkhaften Waldschrats, des Kobolds, der gern die Leute neckt. Diese Wesensart und Natur scheint bei ihm besonders ausgebildet und entsprach auch ganz dem derb-biederen Sinn des Schlesiers, der gern zu launigen Späßen aufgelegt ist, und seiner humorvollen Art. Eine Menge Ulkstreiche wurden da erzählt. Bald schreckte er die Wanderer durch böses Wetter und führte sie irre. Bald praktizierte er einem Handwerksburschen silberne Löffel in den Ranzen. Ja, sogar: er stirbt, nachdem er sein Testament gemacht hat, verhöhnt aber die Leute noch im Sarge. .

Doch von dieser Form wuchs er sowohl nach unten, wie nach oben hinaus. Er ward zum verhutzelten, stricknadelbeinigen, buckligen Zwerg zum verbutteten Menschen und wilden Mann mit zottigen Haaren, aber auch zum kleinen, spannengroßen Erdmännlein, einem Homunkulus vergleichbar. Doch wuchs er auch hinaus ins Riesenhafte, womit die Germanen so gern ihre Berge bevölkerten, zum stolzen Giganten, der of mit goldenen Kegeln – dem Sonnenscheine – spielte. Als Zwergkönig aber beschenkt er die armen Leute mit unscheinbarem Laub das sich in Gold verwandelt.

Das phantasievolle Mittelalter stand besonders im Zeichen des Zauberglaubens und der Hexenkunst. Als Zauberer konnte Riebezahl verschiedene Kunststücke zur nicht geringen Überraschung der Zuschauer ausüben. Es war ihm ein leichtes, ein Bein auszureißen und damit Holz zu hacken, Pferde in Strohwische zu verwandeln, einen Baumstamm vorzutäuschen, auf den sich der Harmlose setzte. Als Hexenmeister aber konnte er gut Wetter machen, wie es alle Hexen verstanden. Er war eben Meister und stand seinen Mann darin. Kein Wunder, wenn ihn die christlichen Leute überhaupt als Teufel ansahen, als den leibhaftigen "Gottseibeiuns", den man gern abbildete mit Hirschgeweih, Kuhschwanz und Bocksbeinen. So erscheint er als Beibild und Gebirgsstaffage auf der ersten Landkarte Schlesiens von 1561. Das Bocksbein rührt her von den griechischen Satiren. Wir dürfen es den Bergleuten im Stollen des Schwarzen Berges nicht übel nehmen, wenn sie ein Kruzifix zum Schutze gegen ihn aufgehängt hatten. Er ward zum schreckhaften "Meister Hämmerlein", zum Klopfgeist.

Natürlich ist Riebezahl im Riesengebirge nach 1500 ein echter Bergbau- und Bergwerksgeist geworden. Burklehner sagt uns in seiner Tiroler Chronik 1642, daß er aus dem Harz stammt und von da eingewandert sei. Indessen trugen schon in Süddeutschland – um 1230 in Würzburg – Personen ihren Namen nach ihm. So erscheint in diesem Kopialbuch ein Träger dieser mythologischen Bezeichnung. Das erstemal finde ich unseren Berggeist um 1566 erwähnt in des Irenäus "Wasserspiegel". Um 1500 bereits kommt bei Rastenburg im Ermlande dieser Name als Ortsname vor, ein Beweis für den innigen Zusammenhang des alten Ordenslandes Preußen mit dem schlesischen Kolonisationsgebiet, welches zur Bevölkerung dieser Gegend viel beitrug und auch einen Teil seiner Ortsnamen lieferte. Dort hatte er sein Domizil zumeist im Erdinnern, ohne sich viel an die Oberfläche zu wagen. Man müsste nur besser unterscheiden zwischen Bergwerksgeist (unterirdisch) und Berggeist (überirdisch). So kannten die Ober‑ und Niederdeutschen, die Schweizer, Tiroler, die Böhmen und Ungarn, die Meißener und Harzer ihren Geist. Er war psychologisches Erleben der Bergleute in der Einöde des Erdinnern, Ergebnis der gespannten Sinne abergläubischer Gemüter. Der rege Austausch der Bergbaugebiete sorgte dafür, daß ihm bis Schweden hinauf der einheitliche Charakter gewahrt wurde. In den Silberbergwerken von Trient – den nachweisbar ältesten – ist seit dem 10. Jahrhundert die deutsche Bergmannssage entstanden und hat sich mit der von den Venedigermännchen – den Geist-Bewohnern des Venedigers in den Alpen, dessen Name der Begriff des Vermummten anhaftet – allmählich, über ganz Deutschland verbreitet. So dachte man ihn denn gern auch als Bergmann verkleidet, mit der Kapuze auf dem Kopfe, die ihn zum "Mönch" machte, mit Keilhaue, Schurzfell und Grubenlampe versehen. Das machte ihn zugleich zum, schatzbehütenden Gebieter, dessen sich die Wälschen besonders annahmen, um andere von dem Edelsteinsuchen abzuhalten. Sie wandelten seinen Namen verwalschend in Ronzevall und Rubisko. Ein gleiches Interesse hatten an ihm die Wurzelsucher. Name und Gewerbe der Wurzelgräber waren aber deutscher Herkunft. Zuerst nachweisbar sind sie im Salzburgischen. In Krummhübel kommen Familiennamen vor wie: Gemsjäger und Schlingel ...

So wurde Riebezahl schließlich auch zum überirdischen Berggeist, d. h. Berg-Geist, zur wandernden Nebelbildung und zum Wolkenphantom. Wie die Riesengebirgler heute noch ihren "Mützling" kennen! In köstlichem Jugendglauben! ...

Die letzte Ausgestaltung und Erscheinungsform der Sage aber erfuhr erst die Neuzeit. Da ward er zum albernen Bergfex herabgedrückt, angetan mit Bergschuhen, Wadenstrümpfen, grauem Rindenhut, Jägerjoppe und Lodenmantel, mit riesigern Wirrbart und einem kräftigen Bergstock. So haftet der Bergesalte am besten in der Vorstellung von uns Schlesiern und kursiert in dieser Gestalt auf Ansichtskarten und ungezählten Geschenkartikeln der Riesengebirgswelt. ...

So haben wir in Kürze den Werdegang und, die Staffeln, die Stufenleiter seines reichen Entwicklungsprozesses vor Augen geführt und gekennzeichnet. Die spätere Bergmannssage des Mittelalters verwischte völlig sein altes Ursprungsbild. Aus germanischer Grundvorstellung erwachsen, kam er mit der christlich-dualistischen Weltauffassung durchaus nicht in Widerspruch. Denn Geistglaube löst die Seele los vom Körperlichen und macht ihn zur unerlosten Seele, die umherirrt bis zum jüngsten Tage. Vielleicht – vielleicht – so orakeln die Wundergläubigen – ist er der Geist eines venetianischen Juden, eines verwünschten Liegnitzer Schusters oder eines Alchemie treibenden Warmbrunner Zisterziensermönches...

Aber unter aller Vermummung, Umkleidung und mißfallenden Verbrämung spüren wir doch noch in ihm den heißen Pulsschlag des Herzens unserer gottgläubigen Vorfahren, der naturfreudigen Germanen. Nur sie waren imstande, eine solche Wundergestalt zu schaffen, die als Sturmgeist über grüne Tannenwipfel streicht und bei dessen Nahen man sich ehrfurchtsvoll hinlegte, um die wilde Jagd über sich ergehen zu lassen. Vom Götterkönig bis zum Hanswurst! Vom Wode bis zum Bergfex! Das ist in der Tat ein seltsamer Werdeprozeß, ein merkwürdiger Fall. So endet der Ruhm der Welt. Es geht Riebezahl wie allen entthronten Herrschern . . . Aber noch schimmert in seiner Sage deutlich erkennbar – trotz aller koboldianischen. Narrheiten und Unarten – der mythologische Wesenskern hindurch: die sagenspendende Gottheit und der Geber alles Guten. Und der ethische Kern seiner Geschichten ist es eben, der ihn uns zur Lieblingsgestalt aller Deutschen und Schlesier macht und der auf das empfängliche, Kindergemüt seinen unverfälschten Zauber ausübt und seine befruchtende Wirkung nicht verfehlt. Aus ihm spricht zu uns, deutlich vernehmbar, die deutsche Seele und das deutsche Naturempfinden.

< Inhalt>     < Rübezahl >     < Rybrcoul – Riewazoul – Krakonosch – R&uuml;bezahl >     < Der bestrafte Wirt >

© Copyright 2001, www.riesengebirgler.de