Aus "Sein Riesengebirge" – Erzählungen und Geschichten über und um das böhmische Riesengebirge.
Aus dem damaligen Leben der Riesengebirgler um 1880 in der Originalsprache der damaligen Zeit.

Wendepunkte

von Eduard R. Petrak

Der Eintritt in das Leben, die innige Gemeinschaft, welche Mann und Weib für die zweite Lebenshälfte eingehen, der Austritt aus dem Leben – kann es wol bedeutungsvollere Wendepunkte als diese für den Einzelnen und seine Angehörigen geben? Es liegt in der Natur des Menschen, dass er wichtigere Handlungen mit Ernst vollbringt und besonders an solche Handlungen, von denen in der Gegenwart oder Zukunft sein geistiges oder leibliches Wohl oder Wehe abhängt, mit Würde geht und sie mehr oder weniger zeremoniös verrichtet. So hat er denn auch die drei oben genannten Knoten seines Lebensfadens überaus reichlich mit allerhand mehr oder weniger entbehrlichen Anhängseln ausgeschmückt, die er unter dem Namen "Gebräuche" zusammenfasst. Jedes Land, jedes Volk und jeder Stand hat sich seine eigenen gedrechselt und hält sie für die besten.

Ich will im Nachstehenden versuchen, die bei Taufen, Hochzeiten und Sterbefällen herrschende Gebräuche, welche der Bevölkerung unseres Riesengebirges eigen sind, zu schildern. Ich mache keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Es würde die mühsame Beobachtung vieler Jahre dazu gehören, um das Thun und Lassen der Gebirgsbewohner, deren verschlossener, unmittheilsamer Charakter gegen Fremde jedem mit ihnen Verkehrenden sofort auffällt, in allen Winkelzügen kennen zu lernen. Zudem sind einzelne Gebräuche nicht über das ganze Gebiet des Gebirges verbreitet. In jedem Theile – ja, man könnte sagen: in jeder Gemeinde – trifft man andere. Eng an einander grenzende Ortschaften weisen darin zuweilen eine auffallende Verschiedenheit auf. So weicht das ganze Volksleben des Elbethales wesentlich von dem des Aupathales ab, wie ich während meines kurzen Aufenthaltes in letzterem schon zu beobachten Gelegenheit fand. Allerdings sind die genannten Thäler durch eine räumliche Ausdehnung von 3 – 4 Wegstunden von einander geschieden, doch macht man obige Erfahrung schon, wenn man die Thäler der Elbe und der "Kleinen Elbe" zusammenhält, die kaum 1 Stunde auseinander liegen. (Dieselbe Erscheinung tritt uns auch an den Mundarten entgegen, die in allen Theilen des Riesengebirges verschieden sind, oft so verschieden, dass Zwei, von denen jedereine andere spricht, einander nicht verstehen können.) Endlich bildet die Sprachgrenze auch für Sitten und Gewohnheiten die Grenze; doch haben die beiden neben einander wohnenden Bevölkerungen Manches von einander entlehnt.

Man wird finden, dass bei allen hier angeführten Festlichkeiten Essen und Trinken eine Hauptrolle spielen und jene in diesen gleichsam gipfeln. Wenn es aber bekannt ist, wie selten sich unsere Gebirgsbewohner nach Herzenslust satt essen können, der wird ihnen diese kleinen Abschweifungen von der Regel nicht zur Sünde anrechnen. Und – ist es bei den Festen anderer Stände vielleicht anders? – –

Vor der Taufe geht die "Pothmutter" (Hebamme) zu den ausersehenen Gevattersleuten und in einer weitschweifigen Rede bringt sie da den Wunsch der glücklichen Ältern, die Betreffenden zu Pathen für den Neugeborenen zu gewinnen, an. Natürlich sagen die Angegangenen zu, denn das Gegentheil gälte als tiefste Beleidigung.

Je vornehmer die Taufe, desto mehr Personen werden zu Gevatter gebeten; oft sind deren 10 und darüber. Im Hause des Täuflings versammeln sich die Pathen in ihrem Sonntagsstaate. Die älteren Männer tragen hohe Stiefel mit steifen Schäften, lange mit den Schössen bis an die Waden reichende Röcke und breitkämpige Hüte; die jüngeren sind schwarz gekleidet, ihre Hände stecken in unförmlichen Waschledernen und auf dem Kopfe sitzt ein widerhaariger Zylinder. In später Nachmittagsstunde, oft schon in der Dämmerung, tritt der Zug majestätischen Schrittes den Taufgang an – die Männer voran, wenn der Täufling männlichen Geschlechtes ist, die Weiber, wenn es ein Mädchen. Einer Ledigen wird der Vorzug, das Kind tragen zu dürfen.

Am Rückwege macht man in irgend einem Wirthshause Halt – damit der kleine Erdenbürger ein fideler Mensch werde. Hier wird das Gevattergeschenk verabreicht. Dasselbe besteht in Liquer oder Rosoglio, welchen die Männer den mitgehenden Frauen kredenzen lassen. Ein lustig Zechen geht an und voll des süßen Trankes kommen Alle um die zehnte oder elfte Abendstunde heim. Nun erst wird das Kindsessen verabreicht, das in Butterbrod, Käse, Bier und Branntwein besteht. Beim Nachhausegehen lassen sämmtliche Pathen ein nach ihrem Vermögen und Stand bemessenes Eingebinde zurück.

Das eigentliche Gevatter- oder Taufessen wird erst nach Wochen, ja selbst Monaten abgehalten. Gäste sind wieder sämmtliche Pathen. Dießmal geht es hoch her. Süße Suppe, Eierkuchen, abgeschmalzene Nudeln, Reisfüllsel, "Erdäpfelsterz", gekochte Pflaumen, Kuchen, Buchten, Kaffee, Butterbrod, Käse, Wein, Bier und Schnaps werden aufgetischt – und vertilgt. Jeder ist bestrebt, nach Verhältnis zur Höhe des seinerzeit von ihm verabreichten Eingebindes zu essen und zu trinken. Während des Essens der Suppe werden in die gemeinschaftliche Schlüssel fortwährend kleine Rosinen geworfen, so dass die Speise mehr schwarz als weiß erscheint; Nudeln, Reisfüllsel etc. werden ebenso mit geriebenem Pfefferkuchen bestreut. Beim Trinken des Kaffees nimmt man ein Stück Zucker in den Mund und schlürft jenen bitter.

Das Mahl beginnt in den Abendstunden und währt tief in die Nacht hinein; dann geht erst das Trinken an, bei dem man bis zum Morgen verharrt. – –

Der Hochzeit geht, auch wenn sie längst beschlossen, eine Art Verlobung oder Heiratszusage voraus. Diesen Akt nennt der Gebirgsbewohner" `s Wort hullen" oder "noch dam Wort Jiehn".

An dem dazu bestimmten Tage kauft der heiratslustige Junggesell eine Menge Schnaps von verschiedener Sorte und Farbe, thut solchen in großen Flaschen oder kleine Fässchen und dingt sich einen gesprächigen Redner, der ihm das Wort von der Geliebten (im Dialekt "Mensch") und deren Ältern holen soll. Bei Einbruch der Nacht begibt er sich in Begleitung seines Vaters, des Brautwerbers und eines nahen Verwandten nach seiner Liebsten Haus und während Vater und Brautwerber in die Stube treten, harrt er draußen seines Loses.

In der Stube sitzen beim Eintritte der Werber die Hausgenossen um den Tisch, so harmlos plaudernd, als ob sie vom Zwecke des Kommens Jener keine Ahnung hätten. Nur die Auserwählte in ihrer Mitte; sie ging an diesem Tage früher als sonst zu Bette.

Mit vielen Worten und auf Umwegen eröffnet der Redner den Ältern der Erkornen den Zweck seines Kommens und wird von ihnen, die gewöhnlich Nichts einzuwenden haben, an die Umworbene selbst verwiesen. Diese wird alsbald aus dem Bette geholt und ihr unter Schmeichelworten die Frage, auf die fast immer ein "Ja" als Antwort erfolgt, gestellt. Mit der allergrößten Freude lauft hierauf der Brautwerber nach der Thüre und zerrt den Bräutigam.

Indem er ihm den glücklichen Erfolg seiner Sendung mittheilt, in die Stube. Dieser geht auf seine Braut zu und reicht ihr die Rechte zum Gruße und Danke, wobei er ungesehen eine Silber- und Goldmünze, das Verlobungsgeschenk, in ihre Hand drückt.

Der Brautwerber ist der Ansicht, dass es jetzt lustig hergehen müsse und fragt die Hausmutter, ob sie nicht Kuchen oder Buchten gebacken habe und ob kein Schnaps im Hause sei. Wie zufällig geht er dann hinaus und bringt den Schnapsmann herein. "Wir hon vum Trinken geredt", sagt er, "un do stiht a Mon hinter der Thür, da hot Schnaps zum Verkeesen."

"Ihr Mon", schreien darauf Alle, "Ihr müsst hinna bleißn! Mir keesen Dich da Schnops o!"

Bald geht es fröhlich in der Stube zu; Brod, Butter, Käse, Buchten und Kaffee kommen auf den Tisch. Um die 12. Stunde wird der Ehevertrag geschrieben. (Seitdem der Legalisirungszwang besteht, hat dies fast völlig aufgehört). Getrunken wird bis zum Morgen.

Des anderen Tages wandern die Brautleute in die Kirche und zum Pfarrer, lassen sich am nächsten Sonntage zum erstenmale "aufbieten" und binnen drei Wochen, gewöhnlich am Montag oder Dinstag ist die Hochzeit.

Zwei oder drei Tage vor derselben geht der gedungene Hochzeitsbitter, auch "Plampatsch" oder "Druschbemon" genannt, den wir schon als Brautwerber kennen lernten, die Gäste einzuladen. Diese versammeln sich am Hochzeitstage am frühen Morgen im Hause des Bräutigams, wo sie mit den wiederholt genannten Speisen und Getränken bewirthet werden. Leider spielt bei allen solchen und ähnlichen Festlichkeiten der Schnaps eine gewisse Rolle. Ehe der Heiratskandidat das älterliche Haus verlässt, hält der Plampatsch an die Ältern, die je einen Stuhl zum Sitzen in die Mitte der Stube bekommen und vor welchen der Sohn steht, eine Abschiedsrede. Er fordert sie auf, den Wegziehenden zu segnen. Man bringt Weihwasser, das der Gebirgsbewohner für alle Eventualitäten vorräthig hält, Vater und Mutter benetzen die Fingerspitzen damit und bezeichnen den Knieenden mit je drei Kreuzen. Alles weint. Geschwister, Vettern, Muhmen, Basen, Großältern und Hausbewohner gehen zum Bräutigam, reichen ihm die Hand, umarmen und küssen ihn.

Endlich hat man Abschied genommen und der Zug ordnet sich, Den rechten Fuß voraussetzend, schreitet man dem Hause der Braut zu. (Während dieses Ganges, sowie am Vorabende des Hochzeitstages und an diesem selbst herrscht noch, trotz aller dagegen erlassenen Verbote das Pistolenschießen.) Hier wiederholen sich die oben skizzirten Zeremonien. Auch das Frühstück fehlt nicht und ist in der Regel reichlicher als das erste. Nach ihm geht es, unter Voranziehen der Musik, in die entfernte Kirche. Alle im Zuge sind festlich geschmückt. Um Hüte, Ärmel, Stöcke, Pfeifen schlingen sich bunte Bänder und aus den Knopflöchern gucken grüne Rosmarinstengel. Die "Kränzeljungfern" sind mit weißen Kleidern angethan und tragen künstliche Blumenkränze auf dem glatt gescheitelten Haare. Das Kleid der Braut ist aus einem schweren, geblümten, bunt schillernden Seidenstoffe verfertigt.

In der Kirche reicht die Braut dem sie trauenden Geistlichen ein Seidentuch als Geschenk. Auf dem Heimwege kehrt der Hochzeitszug in einem bestimmten Wirtshause ein, um sich am Biere und trockenen Semmeln gütlich zu thun und den Hochzeitstanz zu machen. Dieser wird in folgender Weise ausgeführt. Alle bilden einen Kreis, in dessen Mitte die Braut und der Plampatsch stehen und dieser ruft den vornehmsten der Hochzeitsgäste zum Tanze mit der Braut auf. Die Musik spielt, dreimal geht es "üm a Ring" und der Tänzer muß abtreten. So tanzt die Braut nach und nach mit Jedem, mit dem Bräutigam zuletzt; schließlich tanzen Alle. Wenn diesem Vergnügen genug gethan ist, kehrt man nach Hause zurück.

Das Hochzeitsmahl nimmt erst am Abend seinen Anfang und wird vom Brautvater gegeben. Die Gäste, die seit dem Frühstück gehungert haben, sind entzückt über die Menge und Mannigfaltigkeit der Speisen, die aufgetragen werden und was sie aufzuessen nicht im Stande sind, das lassen sie in mitgebrachten Geschirren nach Hause tragen. Die Braut darf bei diesem Essen nicht mit in die gemeinschaftliche Schüssel tunken. Die "Kränzelfrau" füttert sie, indem sie ihr von jeder Speise dreimal drei Löffel voll auf den Teller reicht; erst jetzt darf sie sich des Löffels oder der Gabel bedienen und essen. Unter ihrem Teller liegt ein Silberstück – damit das Ehepaar nicht verarme.

Während Tags vorher die Musik vor dem Hause des Bräutigams gespielt hat, thut sie es heute vor dem der Braut; die Gebirgsleute nennen dies das "Hofrecht" und machen sich Viel daraus. Nach dem Schmause wird in der Stube zum frohen Tanze, zu dem sich allmälig die "außerordentlichen" Hochzeitsgäste: die "Brautschauer", bekannte des Bräutigams oder der Braut, einzufinden beginnen, aufgespielt. Die ganze Nacht und oft auch der folgende Tag werden bei Musik und Tanz zugebracht. In der Hochzeitsnacht bettet die "Kränzelfrau" für das junge Ehepaar auf und legt ihm wieder eine Silbermünze unter das Kopfkissen; zum Schlafengehen wird es von allen Anwesenden begleitet. Nach der Hochzeit bleibt der Bräutigam noch einen ganzen Tag bei der Braut. – –

Der Gebirgsbewohner erreicht gewöhnlich ein hohes Alter. Sein abgehärteter Körper trotz dem Verfalle auch dann noch, wenn die geistigen Kräfte längst geschwunden. Epidemien sind selten; häufiger ist im rüstigen Alter der Tod infolge Verunglückens. Ist Jemand gestorben, so versammeln sich allabendlich im Trauerhause, so lange der Todte noch unbeerdigt ist, dessen Freunde und Verwandte; hier wachen sie bis zum Morgengrauen, beten, singen geistliche Lieder – und vertrinken ihr Leid im Branntwein; doch besteht dieser Gebrauch nicht allerorten. Vor dem Begräbnisse geht die "Grabbitterin" von Haus zu Haus und ladet die Bewohner zur Begleitung ein. Diese wird als Pflicht angesehen und aus jeder Familie muß sich mindestens ein Glied betheiligen. Ist der Verstorbene wohlhabend und beliebt gewesen, dann ist der Leichenzug immer sehr groß.

Geschah der Todesfall im Winter und ist das Haus eine der vielen im Hochgebirge zerstreuten, von jeder Begräbnißstätte weit entlegenen Wohnungen, so kommt es zu weilen vor, dass die Beerdigung tagelang durch Schneestürme und Ungangbarkeit der Wege verzögert wird. In solchem Falle bringt man den Leichnam an einen kalten Ort und lässt ihn im Froste erstarren, oder bedeckt ihn mit Schnee und Eis. Sobald es aber das Wetter zulässt, wird er auf einen Hörnerschlitten geladen und fortgeführt. Einige kräftige Männer gehen voran und stoßen eine breite Bahn im Schnee aus.

Ehe man den Sarg aus dem Hause trägt, bringt man ihn dreimal mit der Hausthürschwelle in Berührung – auf dass die Seele des Todten im Grabe Ruhe finde. An der offenen Gruft hält zuweilen der vielseitige Plampatsch eine Grabrede und betet für das Seelenheil des Dahingeschiedenen.

Nachdem dieser bestattet worden und jeder der Leidtragenden drei Schollen auf den Sarg geworfen, verlässt man den Friedhof und die Angehörigen geben in einem Wirthshause oder im eigenen Hause das "Todtenessen". – –

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